Ein Stich ist bald geschehen in einen nackenden Menschen

Nähe bedeutet bei Weitem kein Vernähen von zwei Menschen, kein Zusammennähen von verschiedenen Stoffen, kein Verstricken in Eifersucht und Besitz und Brauchtum, sondern ein stoffliches Getrennt-Sein, um ein wärmendes Kleidungsstück zu ergeben. Nähe benötigt eine klare Naht zwischen zwei oder mehreren Liebenden, bloß so kann sie erfüllen und das sollte sie auch, denn das ist ihr Zweck. Und dieser Zweck heiligt alle Mittel, beweihräuchert alle Wege, die zu Zärtlichkeit und Körperlichkeit führen, äschert Verstand und Sorge ein. Professionelle Herzlichkeit braucht es und einzwei Herzen am gerechten Fleck, allzeit bereit Heißes zu werfen, Ofenkartoffeln und Orangenpunsch. Des einen warme Nähe ist des anderen Anzeige und deshalb bedarf es zu Zeiten den Abstand, den weder Kett- noch Schussfäden von seinem Schaffen abhalten dürfen. Strickt man sie doch in das Gewebe zweier sich haltender Hände, reißen Narben in den Gestus ein, narben Risse auf Fingern und ihren Nägeln.
Nähe darf kein Verzetteln sein, kein Wir, sondern ein Ich und ein Du, ein Dich und ein Mich, gedruckt auf chlorfrei gebleichtem angsterstarrtem Papier, vielleicht sogar mit Prägedruck versehen. Nähe darf kein Gedicht sein, darin erstickt sie, wie die Liebe grundsätzlich. Sie muss Prosa sein, muss sich in Sprichwörter einschreiben, in allgemeines Sprachgut, das man um sich selbst herum verfälscht, um es wieder wirklich zu machen. Ein Stich ist bald geschehen in einen nackenden Menschen. Pappnase und Stofftiger wissen weshalb und wozu. Und auch abfolgendes Folgendes: Nähe ist eine Kunst, weil sie im tiefen kühlen Grunde wie die Kunst ist. Ein Hin und ein Her-Gerissen-Sein ohne einzureißen dabei. Ein Zugleich von Befreiendem und Einengendem. Ein Fremd-Sein als Ganzes, entspannend Spannendes. Gezogenes und Näherungsschalterhaftes. Nahrung.

Nach verstundetem Tag

Im Alleine schwelgt der Wahnsinnige nach verstundetem Tag und beobachtet seine Nieten und Ösen, die ihn an die wohlgeformten Runden binden. Auf aufaufgekratztem Grau schimmert er sich wund und schimmelt im Warten auf fassähnliche Mitmenschlichkeit, nie ausweichend, bloß niederberstig rollend und irischen Fäusten Raum gebend. Sein Blick und alle anderen Folgenden wandern nicht und folgen eigentlich auch nicht, sie werden gewandert, ziehen ratlos eingerastet ihre Binden und forsten im alpinen Geschlechterzapf hahnend alles wieder, sprüchlich dennoch wieder. Dazu gibt ein nicht einziges Sprichwort, nicht einmal dieses, eine Hand, die eine andere hebt, als Zeichen und als Wort für Hilfe. Türkisener Abend bricht aus den wahnsinnigen Fingernägeln und knödelt jede kräftige Frau und jeden mutterschwachen Mann, wirbelt Penisse und Scheiden, Brüste und Hintern als Geschlechtslose durch den allesformenden Wind und verweht sich. Der Hintern mit dem rosettigen Loch dazwischen schwemmt sich als primäres Geschlecht all jener in den Habitus, die über ein Geschlecht verfügen wollen. Alles andere tilgt sich in einem schlingenden Gähnen. Im Alleine schwelgt der Wahnsinnige nach verstundetem Tag und beobachtet seine Nieten und Ösen und bemerkt, dass es nicht die seinen sind.

Situationselastisch

Je mehr man liest, desto mehr wird es entweder ein Verlesen oder ein Lernen, ein Korrigieren für die Universität oder eine andere bildungsferne Institution. Je mehr ich mich mit meinem und allem anderen Schreiben befasse, desto mehr frage ich mich, ob das Wörtliche denn auch das Wirkliche ist. Ob beide EIN und das SELBE sind, wie oft behauptet wird, oder eben nicht, sondern voneinander losgelöst, wie bei Reinhard Priessnitz. In einen Namen tauchen birgt die Gefahr des Ertrinkens, was jeder Säugling weiß, aber niemals weitergibt. Und weil jedes Wort zugleich Name ist, beginnt genau dort der Irrtum der Sprache. Im Egoismus des Einzelnen und in der Bewegung zwischen mehreren Egoismen. Sprache entwirft immer bloß Sprache und niemals eine Wirklichkeit. Wirklichkeit entsteht immer durch Wirklichkeit, die noch nie ein Mensch in ihrer Gesamtheit erfassen hat können, weil die Wirklichkeit keine Gesamtheit, keine Samtheit kennt. Auch Sprache ist im Übrigen nicht durch diese Kategorien zu begreifen. Im Grunde sind alle Wörter der Welt bloß alle Wörter der Welt, aber niemals eine Sprache. Ein Wort ist immer eine Nadel aus Heu in einem Heuhaufen, ganz selten gelingt es einem das gesuchte Wort auf eine mögliche Wirklichkeit hin zu finden und damit den Nagel auf den Kopf zu treffen.

STARK WIE EIN SCHMETTERLING SEIN
UND MIT DEN FÜSSEN SCHMECKEN

Eine Stunde Null immer wieder ansetzen, macht eine Literatur nicht hochwertiger. Keine Metapher schafft das. Und auch das ewige Sprechen über Bäume nicht. Was habt ihr damit, was gibt euch das? Haltet ihr mich für dämlich? Ihr schreibt auf dem selben Papier wie ich. Auf elastisch reißendem weißen Papier und auf den immer gleichen festgefahrenen Strukturen, den immer gleichen festgefahrenen Strukturen. So situationsunabhängig wie nur möglich, weil Literatur nicht einfach in Situationen schlüpfen kann, wie Maden in faules Fleisch etwa, weil Literatur mit Situationen eigentlich gar nichts zu tun hat. Weil sprachliche Zeichen immer bloß sprachliche Zeichen bleiben, immer bloß Kot zwischen Autor und Leser, und niemals nie eine tatsächliche Situation ergeben können. Erfahrung wird immer eher körperlich gespeichert, als sprachlich. Wer das nicht glauben kann, soll sich einmal ins Gesicht schlagen lassen, während er Goethe liest. Was wird wohl eher in einem Gedächtnis hängenbleiben? Der Schlag oder der Faust?

Spielerei und Farbe

Seit unserem gemeinsamen Kaffee gestern Nachmittag gehst du mir im Kopf herum. Du trottest langsam vor dich für mich hin, bleibst dann und wann stehen um dich umzusehen und machst nicht die geringsten Anstalten zu gehen. Ich weiß nicht, was es war. Was, oder ob du überhaupt etwas an dir hattest. Etwas Besonderes womöglich, etwas Erinnerungsträchtiges. Dein Blick traf zwar auf meinen, aber nie war da etwas Loderndes. Dein Lächeln war eines der gewöhnlichsten, das ich je gesehen habe und die Art, wie du dich artikuliert hast, hat mich nicht im Geringsten gerührt. Und doch habe ich schlecht geschlafen diese Nacht, hab mich im Bett gewälzt und mir meinen Weg zum Traum durch Schafkadaver freikämpfen müssen. Ein Glühen schnellte immer wieder durch meine Windungen, wie das kurze Flackern einer Neon-Röhre. Vielleicht war es deine eigenartige Körperlichkeit, die mir heute so zu schaffen macht. Dein Körper war zwar bloß ein simpler schöner und wohlgeformter Körper, gepackt in alltägliche Kleidung, aber wie du mit ihm umgegangen bist, hat mich möglicherweise fasziniert. Ganz unverfroren hast du dich angefasst, mitten im Gespräch deine Brüste geknetet und dich zwischen den Beinen gestreichelt. Und auch meinem Körper hast du wenig Möglichkeit zur Abgrenzung gegeben. Wieso hast du auch mich so oft angefasst? Ohne offensichtlichen und ohne sexuellen Beweggrund? Bei jeder Möglichkeit, die sich dir bot, hast du meine Hand gestreichelt, mir auf die Schulter geklopft oder bist mir durch die Haare gefahren. Jeden Satz, den du mit deinen Lippen sagtest, hast du mit einer Berührung unterstrichen. Ich war eigentümlich erschöpft nach unserem Treffen, mit meinem Überlegen irgendwo an deinen Lippen und an deinen Händen gefangen, vollends ausgelaugt von deiner Körperlichkeit. Vielleicht war es genau das. Vielleicht ist es genau das, was mir im Kopf herum geht. Vielleicht finde ich aber auch bloß den Gedanken an dich an sich genial und denkenswert. Vielleicht bist du mir mehr ein Bild, von mir selbst gezeichnet, das auf nichts verweist, als auf sich selbst. Wie jedes Bild das tut. Vielleicht bist du bloß Spielerei und Farbe.

Nach einem langen Arbeitstag

Durchflohtes Nachtgeschwämm ziehen deine Augen, deine dreckigen, deine dich bestimmenden Augen. Amöbengleich servierst du mir durch stierendes Blau ein Risotto unserer vergehenden Liebe und es bekommt noch verklebter und zäher als sonst Etwas, noch abgelabter als holzverdorbenes Gestampfe mitten in einem Meer aus zurückgeschlagenen Haaren. Und deine Ohren, deine Ohren wollen mich mitverdauen und deine spänenden Töne wollen hinaus. Hinaus mit dir und gangend in das Vergnügen, dorthin wo der Spaß sterben geht und noch weiter hinauf die Leiter des menschlichen Scheiterns. Schreitend über köchelndes Morchelmus, vor dir her und hin, mit blondem Sorgenparfait. Komm, wir gehen und warten bis alles durchbrennt und kokelt. Lass uns gedulden auf ein Oder.

Wo ein Richter da ein Kläger

Gibst du jemandem einen Hammer, schlägt er einen Nagel ein oder einen Kopf oder er wird Richter und entscheidet über Recht und Unrecht. Gibst du jemandem eine Spritze, sucht er entweder die Nadel in einem Haufen von Klischee oder er wird Arzt und rettet Leben oder er wird Gerichtsdiener und folgt der Entscheidung seines Richters und tötet Leben. Gibst du jemandem eine Schuld, bekennt er sich zum Einen oder er bekennt sich nicht. In beiden Fällen ist das Bekennen von wenig Wert, da die Klage an sich der einzige Wert an sich bleibt. Gibst du jemandem eine Robe, wird er entweder Priester und predigt eine Welt, die nur vor Gut und Böse strotzt, oder er wird Richter und predigt eine Welt, die nur gut und böse kotzt. Eine allumfassende Gerechtigkeit wird es nie geben. Gibst du, so nimmst du.

Ohne Punkt und Komma

Wenn man seine Geschichte selbst schreibt, wird diese Geschichte immer gut ausgehen, würde man sagen, wenn dies ein Sprichwort wäre und jemand andauernd über sein dauerndes Leben, mit dem vielen Chaos und der Unstetigkeit darin, der unaufhörlichen Unantastbarkeit der unerhört vorgefertigten Schienen jammern und schimpfen würde und man diesem Jemand ein Sprichwort um die Ohren schmeißen wollen würde. Das Leben mag dich zwar zeichnen, aber du selbst bist es, der es ausmalt.

Es bringt wenig, verloren zu gehen in einer Masse, die man eigentlich selbst ist. Man sollte immer sein Selbstmöglichstes geben, auch wenn es keiner wertschätzen oder ehren wird. Das menschliche Sein ist eben keine Preisverleihung. Das menschliche Sein erinnert viel eher an das eine Mädchen, das sich unter vielen Leuten in der U-Bahn ungeniert das Kleid hochkrempelt und sich zwischen den Beinen kratzt; das selbst unter den lüsternen und stierenden Blicken nicht aufhört, sondern tiefer kratzt. Schön ist das und beneidenswert. Eigentlich eine eigene Geschichte wert. Eine Geschichte mit Punkt und Komma und Leidenschaft, die nur so strotzt von der Erotik des Banalen.

Aber nun bitte wieder weg von diesen Mädchen, die einem jahrelang die Gedanken einzeln rauben, sie auszupfen wie lästige Härchen. Und weg von den vielen Knaben, denen es nichts ausmacht, jahrelang gedankenlos in Hormonteig zu tauchen. Weg von den vielen Klischees und Unsinnigkeiten. Das Leben ist immer Traum und Trauma zugleich. Es ist so weit und so gut. Oder umgekehrt. Es bringt wenig, die Zeit totstempeln zu wollen in diesem, uns vorgeworfenen Leben. Immer wieder die Karte in das Lochgerät zu stecken, macht die Arbeit nicht weniger, macht körperliches wie geistiges Tun nicht weniger langweilig.

Marion Karl. Anfang 06:51 Uhr, Ende 17: 02 Uhr. Kein Dazwischen. Ist das eine Welt?

Wenn ja, will diese Welt nicht in meinen Kopf. Wo bleibt einem denn da die Energie für Bürokratisches, wo die Kraft zum Wäsche-Waschen, wo die Lust zu Lieben. Vergräbt sich all das in den Gruben, die wir uns selber graben? Gärt all das in einem Sud aus leisen und lauten Verdachten? Nein. Bestimmt nicht. Verstimmt nicht. Höchstwahrscheinlich bleibt diese Energie, diese Kraft und Lust, bei den Unverdachten, denen ohne Dach über dem verwanzten durchlausten Kopf; bei jenen Menschen, die sie tatsächlich nötig haben, diese Potenz. Bei Jenen, die tagein tagaus in unserem Müll wühlen, um ihn aufzuwerten, denen unser Gold schwer im Nacken liegt.

Kinder und Mütter und Väter, die mit ihrer Geburt bereits Ad Acta gelegt werden. Für uns sind das Tiere unter anderen Tieren, die in unserem „Dieser Karpfen schmeckt mir einen Hauch zu sehr nach Zitrone, lassen Sie den Teller zurückgehen und schicken Sie mir den Koch“ untergehen. Armut findet alles auf den ersten Griff, wie ein Sprichwort sagt. Gesegnet sei das Volk und sein immer sprechender und ewig wissender Mund. Das Glück kann jeden treffen, Unglück erst recht. Dass das eine Ungerechtigkeit ist, liegt nicht auf der Hand, das muss man erst in die Hand nehmen, um es dazu zu machen.

So wie man das Recht als solches selbst in die Hand nehmen muss, eine Gerechtigkeit als solche gibt es noch nicht und auch die Gerichte mit ihren Richtern sind noch weit davon entfernt. Mit diesem Auktionshammer zwischen den eigenen knochen- und muskeldurchwobenen Fingern muss man sich in das Gedächtnis der nächsten Generation begeben, um nicht von Recht und Unrecht falschen Gebrauch zu machen, um nicht Regen mit dem eigenen Wasser zu taufen. Oft ist es nämlich kein gutes Recht, sondern bloß ein nötigendes und das Unrecht erweist sich häufig als weit richtiger. Oft hat das Mädchen mit den Fingern zwischen den Beinen als Einzige den Durchblick: Die Liebe führt zusammen, was sie auseinander bricht.

Stimmkörper und Fragen

Wenn ein Mensch aus seiner Gebärelternschaft heraus einen nicht wesentlich anderen, bloß kleineren Menschen gebärt, kann man da wirklich noch erkennen, wer von beiden schreit, kann man tatsächlich ausmachen, wo der Schmerz verankert liegt? Wo haben die Stimmen ihren Sitz? Im Gebärenden, im Geborenen, in etwaigen Gebärden oder gar im Brummen eines Tieres? Sind diese Stimmen politisch? Erfährt dieser Mensch, der sich selbst aus sich selbst herauspresst eine Katharsis? Wird einem leichter um das Herz und um den Schoß, wenn dieser Brocken Leibhaftigkeit aus dem eigenen Becken purzelt? War dieser Brocken zuvor Belastung oder Last für den atemschenkenden Menschen, eine Verunreinigung womöglich des eigenen Körpers? Macht es ihn betroffen, wenn die geschmissene Wurzel ihren ersten eigenverantwortlichen Schlag tut? Wenn ja: Was gibt beiden Betroffenen das Gefühl, von der Qualität ihrer eigenen Gegenwart Bescheid zu wissen? Warum schreien Geborener und Gebärender so wunderschön, wo ihre Körper doch verkrampft und zuckend daliegen, Blut und Eiter speien?

Warum macht mich all das hellhörig, Mutter?

Vom Krieg mit sich selbst

Der schlimmste Krieg ist der Krieg mit einem Selbst. Ohne Frage und ohne Antwort. Er ist nicht zu übertreffen an Grausamkeit, an Schwarzsamkeit und Einsamkeit. Er schießt immer absolut treffsicher, seine Quote liegt bei vielen hungrigen Prozenten. Der Krieg mit einem Selbst lässt auch bestimmt nichts anderes zu, keinen Kompromiss, keine Beweise von einem etwaigen Gegenteil, keine Versprechen auf Genesung und Gesundheit. Da kann manch einer schon sagen, wenn er will: Schlimm und elend, vielleicht ja, aber nicht so verheerend und entgleist und entledigend und entsetzlich mitreißend und viele Menschen mit entwurzelnd wie der echte große echte Krieg. Das kann manch einer schon sagen, wie gesagt, aber dieser manch einer täuscht sich. Er täuscht sich allein schon in dem Erlaubnis, diese Feststellung zu machen. Der Krieg mit einem Selbst erlaubt solche versuchten Entwurzelungen nicht, benötigt keine Erklärungen und Verklärungen, sondern fährt weit härtere Geschütze auf und macht einen sagend: Auch der Krieg mit einem Selbst reißt die Menschen um einen nieder, zerbombt alle Bindungen, lässt Freundschaften, Beziehungen, Familien und Zwischenmenschlichkeiten entgleisen. Kollateralschäden à la carte, Ekel und Verachtung zum Dessert.

Was passiert im Krieg mit einem Selbst, was ist er eigentlich, wird sich der pazifistische Mensch fragen, weil das seine Pflicht ist. Nun, manch einer hält es für Angst, manch einer für depressives Blues-Getriebenes, für Lust an Manie und Selbstzerstörung, manch einer für Blödsinn, für Kinderei, für übersensibles Getue. Ich halte ihn für das, was er ist: Krieg.

Während im Krieg mit anderen immer wieder Liebe und Menschlichkeit aufscheint, ist der Krieg mit einem Selbst durchzogen von Hass und seinem weit größeren Bruder, dem Selbsthass, gerädert von einem schmerzhaften Impuls gegen das eigene Vorgehen und Vergehen, gepeinigt von ständiger Sorge um dieses und jenes und jedes. Mit ewig neuen und wachsend zerstörerischen Waffen findet man erneut und abgealtet Mittel und Wege, sich von innen heraus zu zerstören, sich zitternd zu machen, bis ins eigene Grab hinein, das kein offenes Grab sein wird, mit keinem offenen Sarg darin, sondern bloß ein bloßes leeres Feld, geschlossen und karg. Ein Wiederaufbau von diesem dann benötigten Ausmaß kann nicht bewerkstelligt werden, weil man eben allein mit sich selbst ist und anders als im wirklichen Krieg es keine helfenden Hände und Münder gibt und keine Schultern zum anlehnen. Lehnt man den Kopf an die eigenen Schultern beginnt bloß der Hals zu schmerzen, der ohnehin schon schmerzt von der vielen Angst und der vielen Panik.

Manch einer mag jetzt vielleicht meinen, dass diese Vergleiche holpern, vergisst aber, dass oft die holprigsten Vergleiche die treffendsten sind. Manch einer kann zudem und überdies behaupten, dass es eine Lächerlichkeit, nein, eine Frechheit, eine bodenlose, sei, eine Impertinenz so etwas zu schreiben und den echten wirklichen echten Krieg auf diese Weise zu schmälern, gar zu verspotten. Dieser Jemand war dann bestimmt noch nie im Krieg mit sich selbst und weiß nicht, was er redet, weiß nicht einmal, was die Worte bedeuten, die ihm da aus dem Mund fallen, dem pilzbefallenen verpesteten Mund. Der echte große echte Krieg ist in seinem Ausmaß, in seinem Entreißen verheerend. Keine Frage, keine Antwort. Er wirft die Heere der Staaten wie Schachfiguren über blutrot und schreckensbleich gefärbte Karomuster. Viele Zahlen außen rum, die keiner wirklich versteht, viele Buchstaben außen rum, die man noch nie verstanden hat. Spielbrett Sprache, Spielfeld Krieg. Jedes Staatsoberhaupt soziopathisch veranlagt, über Jahre hin angelegt, darauf ausgelegt und  jeder von ihnen Verhaftete und Eingesperrte im Grunde bloß ein Von-Der-Norm-Abweichender, der zum Verbrecher und Soziopathen getauft wird. Jeder Krieg ist verheerend, weil er die Heere fällt, weil er Herren und Damen und ihre Kinder wie Abfall in Tonnen wirft oder sie zu Tonnen macht.

Man geht im Krieg über viele Leichen, bekannte wie unbekannte, aber im Krieg mit einem Selbst geht man über die eigene Leiche, immer und immer wieder. Man prägt sich mit jedem Schritt den man darauf setzt, mit jedem Tritt den man darüber macht, das eigene verzerrte Totengesicht ein.

Der Krieg mit mir selbst ist mir der schlimmste Krieg. Weit schlimmer noch als der echte große echte Krieg, denn er lässt mich den echten großen echten Krieg vergessen, einfach vergessen und mich trotzdem schlecht schlafen. Jeden Morgen wache ich auf ohne auch nur einen Hauch von Sinn in mir, ohne Vertrauen in dem Ganzen. Jeder Morgen ein Morden. Ich wache auf, allein, verklärt und nebelig und frage mich diese Fragen auf die es keine Antworten gibt und schiebe mir Frühstück in den Schlund, das ich mir am Abend wieder aus dem Körper schieben werde. Ich wache auf und koche schon beim Frühstück vor Wut und Sorge, zermartere mir bereits in den ersten Morgenstunden die Kraft und Energie, die vielen Worte und Gedanken, die ich eigentlich einen ganzen lieben langen Tag brauchen würde. So zerkriege ich mich in meiner Verzweiflung und in meinen Zweifeln mit allem, was sich mir über den Weg gesellt. Mit meinen Beziehungen, meinen Freunden, meinen Büchern, meiner Musik, meinen Gedichten und eben auch mit mir selbst. Für das Tier, das ich bin, stehe ich katastrophal im Unreinen mit mir.

Während nach dem echten wirklichen echten Krieg alles ausgeglichen ist, die Städte mit ihren Häusern und den Menschen darin eben und geglättet, platt (gedrückt) und niedergestampft, alle leise gepresst, kein Laut mehr zu vernehmen, gibt es beim Krieg mit einem Selbst kein so absehbares Ende. Man bleibt ewig unausgeglichen, und der Lärm im Kopf schwillt stetig an, das Herz treibt einem den Puls in jedes noch so kleine Äderchen, versucht den Rhythmus in jede noch so volle Zelle zu stopfen. Die Nerven flattern weiter und bringen jedes noch so frisch gebaute Konstrukt, jede erfrischende Idee zum Einsturz und während die Fassaden des Außens eines Menschen im Grunde standhalten, ein wenig bröckeln zwar, ist das Innere ein Haufen lärmender Schutt.

Kurzer Gedanke zum Glück

Ich frage und zer­streue mich oft, in wie weit sich mein Ver­ständ­nis und Empfinden von Glück verän­dert hätte, wären da nicht all die Kul­tur, all die Geschichten und Erzäh­lun­gen vom Glück. Wenn man bloß auf die Gen­er­a­tio­nen von Men­schen vor einem selbst hört und achtet, die in ihren Erzäh­lun­gen Glück und Unglück einze­men­tieren in starre For­men und klare Abläufe, wird man immer glück­licher sein wollen, als möglich ist. Ein Mit­bringsel dieser uneige­nen Welt ist wohl, dass das Glück zwangsläu­fig das Unglück als Gegen­pol mitschleppt. Wenn man glück­lich ist, wartet man deshalb oft schon von Anfang an den Schwenk ins Unglück ab. Hat man über­haupt noch eine eigene Wahrnehmung von diesen Din­gen, oder ist Glück, was als Glück im Wörter­buch definiert steht? Würde man ohne das Wis­sen von diesen vorgelebten Glücks– und Unglücks­geschehnis­sen eben diese nicht viel unbeküm­merter hin­nehmen kön­nen und tat­säch­lich glück­lich (und unglück­lich?) sein? Wäre es denn nicht eine Bere­icherung, nichts davon zu erfahren?