Von deiner Hand

 

Dem vergeblichsten Menschen, der du bist,

fällt der albanesische Hut

vom eisernen Kopf, während ich

meinem Geruch entgegen lebe,

der deiner ist und verdorben.

Bloß deine Nadel an meinem Arm,

bloß das Piercing an deiner Nase, verlassend,

und jeder Himmel tintet sich voll,

jus talionis, poena talionis.

 

Bloß deine Nadel an meinem Arm,

drei oder vier Punkte gestochen, von deiner Hand.

Eine Begegnung oder eine Idee von Zartheit.

Vergeblich. Mit glänzendem Blick.

Nach oben sehend tintet sich himmelvoll

mein gesamter Horizont rosen- und angstfarben.

Deinen Geruch der Umarmung nicht wissend

an meiner Umarmung, und

dein hässlicher Name an meiner Scham.

 

 

Die Bäume auf der Heimfahrt

Was du nicht wissen wolltest, weißt du jetzt.
Was du nicht hören wolltest, hast du gehört.
Was du nicht haben wolltest, hast du jetzt.
Was wir uns versprachen, hast du gebrochen.

Was du nicht wahrhaben wolltest, hast du jetzt wahr.
Was du nicht sagen wolltest, sagte ich.
Was du nicht trinken wolltest, hast du getrunken.
Was wir uns schworen, hast du nie gehalten.

Was du nicht erleben wolltest, hat dich erlebt.
Was du nicht lernen wolltest, lerntest du spät.
Was du nicht streicheln wolltest, streichelst du nun hart.
Was wir uns vermachten, hast du eingemacht.

Was du nicht aufgeben wolltest, hast du abgegeben.
Was du nicht tanzen wolltest, tanzt du jetzt.
Was du nicht beginnen wolltest, hast du begonnen.
Was wir uns brauchten, hast du einfach verbraucht.

Was du nicht vergeben wolltest, hast du vergeben.
Was du nicht schlafen wolltest, hast du nachgeholt.
Was du nicht träumen wolltest, hast du weggeräumt.
Was wir uns umsorgten, hast du wortlos entsorgt.

 

Dream (1948)

 

Bevor ich mich schlafen lege und meine angetagte Unruhe

im Polster ersticke, will ich mich nach deinen einzigen

Träumen erkundigen und von deinen ungenügenden Gefälligkeiten

die Hand zum Tanz fordern und schüchtern Schritte tun.

 

Auf Nelken und Nägeln gebettet will ich deinen halbgeöffneten

Mund mit meinem akkordfremden Finger umkreisen,

als wäre er blutroter Halbmond oder einer Zigarette gleich.

Am Orgelpunkt deiner Lippen mich gedrängt verhaspeln

und eine eisleckende Mutter an deine Augenbraue zeichnen.

 

Bevor ich mich schlafen lege, sollst du mir mit deiner verlöffelten

Hasenzunge über und über mein sabberndes Gesicht lügen

und mich in vollgesoffene Mullbinden wickeln, dass es mich rührt.

Du sollst mir dein Gute-Nacht-Lied singen und mich wiegen

in Versprechungen und alles verzetteln, was wir bisher geliebt haben.

Nimm mir die Angst vor dem Morgen und ich perle in dir ab.

 

mein weltbild

 

es bleibt mir

unerklärlich

warum ich

immer wieder

aufs neue verwundere

und erschrecke daran

dass eine welt

wie diese

so grausam

und böse sein kann

 

wo ich doch

meine eigene grausamkeit

und bosheit kenne

und sie mich

nicht rühren

 

Alles Walzer

Leise rieselt der Schnee auf das Vielgerühmte und Vielgeliebte, leise rieselt er und bedeckt das Braune und das ewig Gleiche und wenig Geprüfte. Er versteckt die falsche Tradition, die in der Heimat der größeren Söhne einfach stagniert, bloß das Alte und Bestehende bleibend, und nicht das Bewegende oder Neue werdend. Immer wieder Heimat bis zum Fallen, ganz ohne auch nur irgendeinen Krieg, keinen für ein etwaiges Mutter- oder Vaterland, feige zu allen Zeiten, 123 223 323.

Betend das Gesetz, gefangen in der geschäumten Schwere einer Bürschchenschaft, geschlagen und eingezäunt in den eigenen Verurteilen und Vorurteilen. Essend sind sie hier, essessend und trinkend aus Kaffeetassen und Bierkrügen, und aus einem unerschöpflichen Quell von Konformismus und Kitsch. Allesamt sich rühmend einer vermeintlichen Toleranz wegen, aalglatt rasiert, und von Paula zu Paula zu einem neuen Wirt sprechend, 123 223 323.

Ureigen wird hier der Urreigen getanzt, in diesem Land wo man, woman, kein Recht hat, wo die Töchter zugrunde gehen am Taktgefühl, am nicht vorhandenen. Das ist zwar nicht jeden Freitag so, aber solange das Geld und die Vernunft weiterhin so ungleich verteilt bleiben, bleibt es wohl dabei und brennt nieder am Herd. In diesem hochheiligen universitären Land, durch das nichts außer der Donau fließt, diesem Land der Heimat, der Familie, der Patrioten, Priester und Idioten, wird alles an einen goldenen Adler gespannt und daran erhängt und niedergeforstet. Der Not wird hier kein Schwung gelassen, für jeden Umstand gibt es eine halbherzige Lösung und der Institution wird Vorrang gegeben vor jeglicher Intuition, 123 223 323.

Inmitten all der Berge und Äcker und Ströme hat eine Flagge mehr Wert als ein Mensch. Kunst und Revolution braucht es wieder und keine vom Schnaps rotbäckig gewordenen Bläser, unser Verstand sollte unser Hoheitszeichen sein und nicht bloß Farbe oder ein blindes Tier.

Ein Stich ist bald geschehen in einen nackenden Menschen

Nähe bedeutet bei Weitem kein Vernähen von zwei Menschen, kein Zusammennähen von verschiedenen Stoffen, kein Verstricken in Eifersucht und Besitz und Brauchtum, sondern ein stoffliches Getrennt-Sein, um ein wärmendes Kleidungsstück zu ergeben. Nähe benötigt eine klare Naht zwischen zwei oder mehreren Liebenden, bloß so kann sie erfüllen und das sollte sie auch, denn das ist ihr Zweck. Und dieser Zweck heiligt alle Mittel, beweihräuchert alle Wege, die zu Zärtlichkeit und Körperlichkeit führen, äschert Verstand und Sorge ein. Professionelle Herzlichkeit braucht es und einzwei Herzen am gerechten Fleck, allzeit bereit Heißes zu werfen, Ofenkartoffeln und Orangenpunsch. Des einen warme Nähe ist des anderen Anzeige und deshalb bedarf es zu Zeiten den Abstand, den weder Kett- noch Schussfäden von seinem Schaffen abhalten dürfen. Strickt man sie doch in das Gewebe zweier sich haltender Hände, reißen Narben in den Gestus ein, narben Risse auf Fingern und ihren Nägeln.
Nähe darf kein Verzetteln sein, kein Wir, sondern ein Ich und ein Du, ein Dich und ein Mich, gedruckt auf chlorfrei gebleichtem angsterstarrtem Papier, vielleicht sogar mit Prägedruck versehen. Nähe darf kein Gedicht sein, darin erstickt sie, wie die Liebe grundsätzlich. Sie muss Prosa sein, muss sich in Sprichwörter einschreiben, in allgemeines Sprachgut, das man um sich selbst herum verfälscht, um es wieder wirklich zu machen. Ein Stich ist bald geschehen in einen nackenden Menschen. Pappnase und Stofftiger wissen weshalb und wozu. Und auch abfolgendes Folgendes: Nähe ist eine Kunst, weil sie im tiefen kühlen Grunde wie die Kunst ist. Ein Hin und ein Her-Gerissen-Sein ohne einzureißen dabei. Ein Zugleich von Befreiendem und Einengendem. Ein Fremd-Sein als Ganzes, entspannend Spannendes. Gezogenes und Näherungsschalterhaftes. Nahrung.

Nach verstundetem Tag

Im Alleine schwelgt der Wahnsinnige nach verstundetem Tag und beobachtet seine Nieten und Ösen, die ihn an die wohlgeformten Runden binden. Auf aufaufgekratztem Grau schimmert er sich wund und schimmelt im Warten auf fassähnliche Mitmenschlichkeit, nie ausweichend, bloß niederberstig rollend und irischen Fäusten Raum gebend. Sein Blick und alle anderen Folgenden wandern nicht und folgen eigentlich auch nicht, sie werden gewandert, ziehen ratlos eingerastet ihre Binden und forsten im alpinen Geschlechterzapf hahnend alles wieder, sprüchlich dennoch wieder. Dazu gibt ein nicht einziges Sprichwort, nicht einmal dieses, eine Hand, die eine andere hebt, als Zeichen und als Wort für Hilfe. Türkisener Abend bricht aus den wahnsinnigen Fingernägeln und knödelt jede kräftige Frau und jeden mutterschwachen Mann, wirbelt Penisse und Scheiden, Brüste und Hintern als Geschlechtslose durch den allesformenden Wind und verweht sich. Der Hintern mit dem rosettigen Loch dazwischen schwemmt sich als primäres Geschlecht all jener in den Habitus, die über ein Geschlecht verfügen wollen. Alles andere tilgt sich in einem schlingenden Gähnen. Im Alleine schwelgt der Wahnsinnige nach verstundetem Tag und beobachtet seine Nieten und Ösen und bemerkt, dass es nicht die seinen sind.

Worte auf das Papier

 

Ich versuche seit mehreren Stunden schon

mich an deine Augen zu erinnern

und sie aufzuzeichnen,

aber es kommen mir immer bloß

Worte auf das Papier.

Kein Bild, nicht einmal eine Skizze gelingt.

Selbiges mit deiner Nase und deinem Mund

und sonst allem, was dein Gesicht auszeichnet.

 

Ich verzweifle und scheitere an deinem Etwas

und meiner Erinnerung daran.

Ich möchte dich endlich kennenlernen.

 

Situationselastisch

Je mehr man liest, desto mehr wird es entweder ein Verlesen oder ein Lernen, ein Korrigieren für die Universität oder eine andere bildungsferne Institution. Je mehr ich mich mit meinem und allem anderen Schreiben befasse, desto mehr frage ich mich, ob das Wörtliche denn auch das Wirkliche ist. Ob beide EIN und das SELBE sind, wie oft behauptet wird, oder eben nicht, sondern voneinander losgelöst, wie bei Reinhard Priessnitz. In einen Namen tauchen birgt die Gefahr des Ertrinkens, was jeder Säugling weiß, aber niemals weitergibt. Und weil jedes Wort zugleich Name ist, beginnt genau dort der Irrtum der Sprache. Im Egoismus des Einzelnen und in der Bewegung zwischen mehreren Egoismen. Sprache entwirft immer bloß Sprache und niemals eine Wirklichkeit. Wirklichkeit entsteht immer durch Wirklichkeit, die noch nie ein Mensch in ihrer Gesamtheit erfassen hat können, weil die Wirklichkeit keine Gesamtheit, keine Samtheit kennt. Auch Sprache ist im Übrigen nicht durch diese Kategorien zu begreifen. Im Grunde sind alle Wörter der Welt bloß alle Wörter der Welt, aber niemals eine Sprache. Ein Wort ist immer eine Nadel aus Heu in einem Heuhaufen, ganz selten gelingt es einem das gesuchte Wort auf eine mögliche Wirklichkeit hin zu finden und damit den Nagel auf den Kopf zu treffen.

STARK WIE EIN SCHMETTERLING SEIN
UND MIT DEN FÜSSEN SCHMECKEN

Eine Stunde Null immer wieder ansetzen, macht eine Literatur nicht hochwertiger. Keine Metapher schafft das. Und auch das ewige Sprechen über Bäume nicht. Was habt ihr damit, was gibt euch das? Haltet ihr mich für dämlich? Ihr schreibt auf dem selben Papier wie ich. Auf elastisch reißendem weißen Papier und auf den immer gleichen festgefahrenen Strukturen, den immer gleichen festgefahrenen Strukturen. So situationsunabhängig wie nur möglich, weil Literatur nicht einfach in Situationen schlüpfen kann, wie Maden in faules Fleisch etwa, weil Literatur mit Situationen eigentlich gar nichts zu tun hat. Weil sprachliche Zeichen immer bloß sprachliche Zeichen bleiben, immer bloß Kot zwischen Autor und Leser, und niemals nie eine tatsächliche Situation ergeben können. Erfahrung wird immer eher körperlich gespeichert, als sprachlich. Wer das nicht glauben kann, soll sich einmal ins Gesicht schlagen lassen, während er Goethe liest. Was wird wohl eher in einem Gedächtnis hängenbleiben? Der Schlag oder der Faust?